Krankheit entpuppt sich als Farce By Redaktion-SI on 14. April 2012
19:07 Uhr auf „http://godot-hamburg.de“
„Der eingebildete Kranke oder Molière in Behandlung“,
Ambrella Figurentheater
im Sprechwerk
Heike Klockmeier
hat die personifizierte Krankheit gut im Griff.
Ist ein Theaterstück, das damit beginnt, dass einem
König ein monströser Einlauf verpasst wird, noch steigerungsfähig?
Wenn Puppenspielerin Heike
Klockmeier ihre Finger mit im Spiel hat, allemal. Es
ist „Der eigebildete Kranke“ von Molière, den das
Ambrella Figurentheater
im Sprechwerk einer ganz
besonderen Behandlung unterzieht. Nicht nur wird
die ohnehin schon kurzweilige Komödie kräftig gestrafft,
sie wird zudem noch um einige Handlungsstränge
erweitert. Schließlich erhielt Molière den Auftrag
zum Schreiben einer Komödie von keinem Geringeren als
Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. Dessen Hypochondrie
übertrug der Dichter auf seinen Protagonisten, in
dessen Rolle er dann auch bei der Uraufführung 1673
schlüpfte. Diese Verquickung nutzt Klockmeier geschickt,
um gemeinsam mit dem Stück auch die historischen Rahmenbedingungen
für dessen Entstehung zu erzählen.
Bühnenaufbau: ein Königsthron in
Lebensgröße, der durch die mit einem Vorhang versehene
Rückenlehne hindurch als Puppenbühne
bespielbar ist. Dort sitzt Argan
in seinem Rollstuhl und feiert seine Krankheit, die
– der Titel des Stücks verrät es bereits – eine eigebildete
ist. Die große Klappmaulpuppe
mit wildwüchsiger Nase, löchrigem Gebiss und einem
feinen Teint von Moosgrün im Gesicht ist an sich schon
der Brüller (Puppen: Jürgen Maaßen). KlockmeiersBelebungskünste – sie spielt
sämtliche Puppen in diesem Stück! – setzen aber noch
eins drauf: Mit sächselndem Zungenschlag, mitleiderregenden
Hustenanfällen und ersticktem Röcheln kitzelt sie
das letzten Quäntchen Komik aus einer Figur, die sich
von einer unfähigen Ärzteschaft zum Kranksein
überreden ließ. Argans Tochter
Angélique, die – der Vater will es so – den Sohn seines
Arztes heiraten soll, aber in Cléante verliebt ist, tritt, wie die zuletzt genannten
und das gewiefte Dienstmädchen Toinette, als Marionette
auf. Hoch oben thronen die Schutzengel Kasperl und
Gretel sowie Gevatter Tod als klassische Fingerpuppen
auf einer Wolke und greifen, wo’s nötig ist, ins Geschehen
ein. Klockmeier selbst schlüpft in die Rolle des königlichen
Leibarztes und empfiehlt dem Publikum mit einschmeichelndem
französischem Akzent die eine oder andere brachiale
Behandlungsmethode, die man lieber nicht über sich
ergehen lassen möchte. Für Kinder ist dieses Puppentheater
unter der Regie von Dietmar Staskowiak
also nur bedingt geeignet.
Die rund hundert
Premierenbesucher jedoch sind hellauf begeistert.
Klockmeierspointenreiche
Bearbeitung des beliebten Stoffs als Stück im Stück,
ihre stimmlichen Wandlungsfähigkeit
und ihr temporeicher, nahtloser Figurenwechsel
überzeugen auf ganzer Linie. „Und?“, fragt Dienstmädchen
Toinette am Ende ins Publikum: „Noch jemand ein Klistier?“
Besten Dank. Aber bei diesem köstlichen Spaß ist eine
Verdauungshilfe absolut
überflüssig.
Eingebettet in
Moliéres Komödie wird vom Leben zweier historischer
Figuren erzählt:
Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. und dessen Komödiendichter
Jean Baptiste Poquelin, genannt
Moliére.
Zu guter Letzt ...
Dietmar Staskowiak:
Komponist, Musiker, Regisseur
1965 – 1970 Musikstudium
an der Hochschule für Musik
„Carl Maria von Weber“ Dresden,
anschließend Konzertpianist, Dozent für Klavier an der
Hochschule für Musik, Solorepetitor und musikalischer
Leiter an mehreren Theatern,
außerdem Komponist, u.a. für
Shakespeares „Hamlet“, „Romeo und Julia“, „Was ihr wollt“,
„Wie es euch gefällt“ sowie für zahlreiche Figurentheater
im europäischen Raum,
1992 Sonderpreis für die beste Hörmusik,
Festival „Synergura“ Erfurt,
seit 1989 Regiearbeiten an Theaterhäusern und für freie
Figurentheater in Deutschland, Österreich und der Schweiz,
Filmmusiken: „Letztes aus der DaDaeR,
„Der Störenfried“, „Deckname Dennis“, „Die Ruhestörung“
und verschiedene Dokumentarfilme
Jürgen Maaßen:
Bildhauer, Figurenbauer, Szenograph
1972 – 1977 Studium
der Bildhauerei an der
Kunstakademie Düsseldorf,
seitdem Freier Figurenbauer und Szenograph für Figurentheater
sowie Fernsehproduktionen,
außerdem regelmäßige Lehrtätigkeit
für Schnitzen, Zeichnen und Gestalten von Theaterfiguren
an verschiedenen Freien Bildungsstätten im In- und Ausland
Heike Klockmeier:
Puppenspielerin
Nach verschiedenen
Ausbildungen und Tätigkeiten,
unter anderem als
Zahntechnikerin, Sekretärin,
Studentin der Marxistisch-Leninistischen Philosophie
und Arbeitstherapeutin